«Putin ist jedes Mittel recht»

Russland stärke populistische Bewegungen in Europa, um die Demokratien zu schwächen, sagt der ukrainische Rechtsextremismus-Forscher Anton Schechowtsow.

Mit Anton Schechowtsow sprach Bernhard Odehnal

«Russland schafft nicht die Probleme. Es macht sie nur schlimmer»: Anton Schechowtsow. Foto: Andreas Jakwerth

Haben Sie bei Ihren Forschungen einen russischen Masterplan hinter den Kontakten zu westeuropäischen rechtsextremen und rechtspopulistischen Bewegungen entdeckt?

Es gibt in Russland nicht mehr ein Zentrum, das alles entscheidet. Die Beziehungen werden auf verschiedenen Ebenen von verschiedenen Machtkreisen geknüpft. Diese Kreise wiederum stehen im Wettstreit untereinander um Einfluss und Ressourcen.

Es ist also nicht Präsident Wladimir Putin, der bestimmt, zu welchen Parteien im Westen Beziehungen aufgenommen werden?

In der Sowjetunion kontrollierte der KGB alles, und der Befehl kam von ganz oben: Der Westen soll untergraben werden. Heute sind nicht alle Machtkreise mit dem Geheimdienst FSB verbunden. Aber alle wollen dem Herrscher im Kreml zeigen, dass sie nützlich sind. Dazu gehört auch, Verbündete im Westen zu präsentieren, mit denen man die westliche Politik beeinflussen kann.

Und dabei handeln sie auch ohne Putins Wissen und Einverständnis?

Putin kann nicht alles kontrollieren. Es werden sicher auch Entscheidungen ohne seine Zustimmung getroffen. Aber es gibt in Russland ein generelles Verständnis, was Putin will: die Einheit und Stärke des Westens zu zerstören. Wer diese Generallinie versteht, kann danach handeln. Als jedoch eine russische Bank dem französischen Front National neun Millionen Euro Kredit gab, brauchte sie dazu sicher grünes Licht von Putin.

Dass rechtspopulistische Bewegungen im Westen für Russland nützlich sein können, ist russische Generallinie?

Es gibt zwar auch in der russischen Politik Falken und Tauben. Aber alle sind zutiefst überzeugt, dass der Westen versucht, Russland zu unterwandern. Putin wollte in seiner ersten Präsidentschaftsperiode eine Annäherung an den Westen. Doch die Revolutionen in Georgien, in Kirgistan und vor allem in der Ukraine 2004 erschreckten ihn.

Damit begann das Misstrauen gegenüber dem Westen?

Ja. Und es wurde mit jedem Jahr stärker. Zudem verloren die Russen Verbündete bei den grossen Parteien in Europa. Also suchten sie neue Partner und fanden sie ganz weit rechts. Erst danach entdeckten sie, dass sie diese auch benutzen konnten, um die westliche Politik zu beeinflussen.

Wissen die extrem rechten Parteien im Westen immer, auf welcher Ebene in Russland sie verhandeln?

Sie hätten natürlich gerne Zugang zu den Mächtigen im Kreml, am liebsten zu Putin selbst. Aber das ist nicht so einfach. Sie müssen ganz unten beginnen und sich emporarbeiten. Der Gründer des Front National, Jean-Marie Le Pen, besuchte Russland schon in den 1990er-Jahren. Und bald musste er erkennen, dass ihn seine Kontakte nicht weiterbrachten. Er wollte Putin treffen, aber das ging nicht. Auch seine Tochter Marine Le Pen musste erst unbedeutende Russen treffen.

Letztendlich wurde sie aber doch zu Putin vorgelassen?

Das war aber nicht ihr Verdienst. Vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2012 hatte Putin kein Interesse, sie einzuladen, weil sie keine Chance auf den Sieg hatte. Der Kreml wollte gute Beziehungen zum Wahlsieger. Erst als der neue Präsident Franois Hollande an Russland nicht viel Interesse zeigte, setzte Putin auf den Front National.

Haben Sie Kontakte aus Russland zu nationalistischen oder extrem rechten Gruppen in der Schweiz entdeckt?

Nein. Das überrascht mich auch nicht. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland die Schweiz unterwandern will – jenen Ort, an dem russische Geschäftsleute und Politiker ihr Geld aufbewahren. Die Schweiz ist ihre Bank. Warum sollten sie ein Land destabilisieren wollen, das ihnen finanzielle Sicherheit bietet?

Welche Parteien aus dem extrem rechten Spektrum in Europa sind derzeit aus der Sicht des Kremls die stärksten Verbündeten?

Front National, Lega Nord und die Freiheitliche Partei Österreichs. Als erste Parteien unterzeichneten die FPÖ 2016 und die Lega Nord 2017 Partnerschaftsverträge mit Putins Partei Einiges Russland. Denn der Kreml hält sich an eine Regel, die wir aus dem Handbuch des KGB kennen: Rekrutiere nur jemanden, von dem du glaubst, dass er einmal wichtig wird und Einfluss nehmen kann. In Österreich hat das funktioniert: Die FPÖ ist nun in der Regierung.

Hat dieser Partnerschaftsvertrag mit Putins Partei Einiges Russland eine realpolitische Bedeutung?

Er hat eher symbolischen Wert. Unterzeichnet wurde er zu einer Zeit, als der FPÖ-Kandidat noch Chancen hatte, Bundespräsident zu werden. Das war für Einiges Russland wichtig. Und die FPÖ betrachtete den Vertrag als Belohnung für ihre Bemühungen, Putin zu verteidigen. Aber wir wissen nicht, ob es daneben geheime Absprachen gab.

Eine geheime Finanzierung?

Bekannt ist lediglich, dass der Front National Geld von einer russischen Bank bekam. Aber das war kein Geschenk, es war ein Kredit, mit sechsprozentiger Verzinsung. Der FN würde das Geld gerne zurückzahlen. Dummerweise ging die Bank bankrott. Es gibt sie nicht mehr, und der Kredit ist nun bei einer obskuren Firma in Moskau gelandet.

Sie haben keine weiteren Hinweise auf Geldtransfers aus Russland zu extrem rechten Bewegungen in Westeuropa?

Die paramilitärische Russische Imperiale Bewegung spendete für die schwedische Neonazi-Partei Nordische Widerstandsbewegung. Die genaue Höhe der Spende kennen wir nicht, es dürfte aber kein riesiger Betrag gewesen sein. Auch das «Europäische Zentrum für geopolitische Analyse» in Berlin bekam Geld aus Russland. Gegründet wurde dieses Zentrum von einem rechtsextremen Polen, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt. Er wird verdächtigt, für den russischen Geheimdienst gearbeitet zu haben.

Und was bekamen die Russen für ihr Geld?

Das Zentrum veröffentlicht Beiträge, die Putins Politik loben. Es schickte Wahlbeobachter aus, die dann zum Beispiel das international nicht anerkannte Referendum über den Anschluss der Krim an Russland für rechtmässig erklärten.

Die Wahlbeobachter bekommen dafür ebenfalls Geld?

Alle Wahlbeobachter erhalten Diäten. International üblich sind 100, 200 Euro pro Tag. Dass Wahlbeobachter im Dienste der russischen Politik viel höhere Diäten bekommen, ist nicht gesichert, aber sehr wahrscheinlich. Ich vermute, es sind vierstellige Summen pro Tag. Ich vermute auch, dass Vortragende aus dem Westen bei Konferenzen in Russland sehr hohe Honorare erhalten. Trotzdem: Wir sprechen hier nicht von Beträgen, mit denen man eine gesamte politische Bewegung kaufen könnte.

Vertreter rechtspopulistischer Bewegungen im Westen reisen häufig zu Konferenzen nach Russland. Warum?

Auch in der Sowjetunion wurden Politiker, Wissenschaftler oder Journalisten aus dem Westen zu Konferenzen eingeladen. Da geht es darum, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften aufzubauen. Dann gehen diese neuen Freunde zurück in ihre Heimatländer und verbreiten dort die Argumente, die sie in Russland hörten. Der KGB nannte das «freundschaftliche Verhältnisse», es war eine Alternative zum Anheuern von Agenten. Vor ein paar Jahren hat Putin für solche Debatten mit westlichen Wissenschaftlern den Waldaj-Klub geschaffen. Nicht jeder, der an den Treffen teilnimmt, wird gleich zum Agenten. Aber viele sind danach dem Kreml gegenüber positiver eingestellt. Und dann treten sie in russischen Propagandasendern wie RT oder Sputniknews auf. Was wir heute sehen, das kommt alles aus dem Handbuch des KGB.

Sind Medien als Propagandainstrumente für den Kreml wichtiger als direkte Kontakte zu extrem rechten Parteien?

Russland investiert viel Geld in diese Medienprojekte. Vor allem in RT. Und wir sehen, dass Beiträge von RT von rechtspopulistischen Politikern im Westen zitiert oder auf Facebook geteilt werden. Aber damit erreichen sie hauptsächlich die eigenen Anhänger und bestärken deren Ansichten. Es gibt noch keine seriöse Studie, ob RT darüber hinaus Einfluss auf die öffentliche Meinung oder die Politik nehmen kann. Ich möchte deshalb als nächstes Projekt die Beziehungen Russlands zu den grossen linken und rechten Parteien im Westen untersuchen. Ich halte diese Beziehungen für wichtiger als zu den extrem rechten Parteien.

Wieso?

Ob Sozialdemokraten oder Bürgerliche – in den meisten Ländern Europas sind diese Parteien an Regierungen beteiligt. Das macht für den Kreml einen grossen Unterschied. Für Moskau ist Gerhard Schröder viel bedeutender als die AfD.

Weil der ehemalige sozialdemokratische Kanzler Schröder heute Präsident des Verwaltungsrates des russischen Pipelineprojekts North Stream und des Ölkonzerns Rosneft ist?

Nicht nur deswegen. Auch aus politischer Sicht: Schröder hat noch immer starken Einfluss in der SPD. Es gibt unter den deutschen Sozialdemokraten viele, die Sanktionen gegen Russland skeptisch sehen. Auch in Frankreich sind für den Kreml die Beziehungen zu den Republikanern wichtiger als zum Front National. Der FN hat ja in absehbarer Zeit keine Chance, die Regierung zu übernehmen.

Die Unterstützung extrem rechter Parteien aus Russland wird deshalb in nächster Zeit eher abnehmen?

Nein. Einige russische Machtkreise werden weiterhin mit der extremen Rechten arbeiten, andere sich eher den grossen linken und rechten Parteien zuwenden. Generell werden alle diese Gruppen noch aktiver werden. Sie werden ihre Beziehungen zu westlichen Politikern vertiefen und versuchen, sie zu korrumpieren. Das hat mit der politischen und wirtschaftlichen Lage in Russland zu tun.

Was wird sich in Russland verändern?

Die Wirtschaft liegt schon jetzt am Boden, und es wird noch schlimmer. Und der Westen wird seine diversen Sanktionen nicht aufheben. Damit wird der Wettbewerb der russischen Eliten um die knappen Ressourcen immer härter und auch zunehmend im Ausland ausgetragen: Wer kann die westlichen liberalen Demokratien mehr destabilisieren? Da ist jedes Mittel recht. Jede Schwäche des Westens wird ausgenützt.

Die Schwächen der westlichen Demokratien, die Unzufriedenheit der Wähler in Europa mit ihren Regierungen – das ist doch keine Erfindung des Kremls?

Putins Regime erzeugt keine Stimmungen. Aber es hat ein gutes Gespür für bestehende Stimmungen und verstärkt sie. Ein autoritäres System kann da ziemlich schnell handeln und muss keine Rücksichten nehmen. Liberale Demokratien mit ihren komplexen Entscheidungsprozessen sind da immer im Nachteil und wirken schwach. Russland schafft nicht die Probleme. Es macht sie nur schlimmer.

Wie wirkt sich dieser Kampf gegen das Modell der liberalen Demokratie in Russland aus?

Propaganda und Desinformation haben enormen Schaden in der russischen Gesellschaft angerichtet. Jeglicher Widerspruch ist verstummt. Wer gegen Putin ist, verlässt das Land. Oder wird verhaftet. Oder ermordet. Es sind bereits mehrere Generationen in Putins bizarrer Welt aufgewachsen, mit einem gewaltigen Ausmass an Falschinformationen in den Medien, mit Erziehung und Literatur, die vor Hass triefen. Das geht mittlerweile ganz tief, in die Psyche und die Seele der Gesellschaft. Das lässt sich kaum noch rückgängig machen.

First published in Tages-Anzeiger.

Leave a Reply